Gedanken über den Gebrauch unserer ostfriesischen Muttersprache
in der heutigen Zeit
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Uns ostfreeske Taal  (Unsere ostfriesische Muttersprache)
von Johanne Schaper
 

Wilhelm von Humboldt, der Philosoph und Sprachwissenschaftler, hat vor mehr als 150 Jahren gesagt: "Sprache ist Heimat." Das soll m.E. heißen: Durch die erste Sprache, die wir hören und sprechen lernen, festigen sich unsere Wurzeln und Beziehungen zu anderen. Sie gibt uns Sicherheit und Geborgenheit.

Je weniger man die Möglichkeit hat, seine Muttersprache zu hören oder zu sprechen, desto mehr entfernt man sich auch von seiner Heimat.

Bei uns in Ostfriesland wird derzeit noch von vielen Menschen Platt gesprochen, aber Beobachtungen an Schulen, selbst in ländlichen Bezirken, zeigen, Kinder sprechen kaum noch Platt oder ein Gemisch aus Nieder- und Hochdeutsch. Dabei war es vor gut 40 Jahren auf dem Lande noch so, daß ca. 80% aller Schulanfänger, kaum oder gar nicht Hochdeutsch sprachen und der Lehrer die einzige Kraft war, die dem Kind die Hochsprache nahe zu bringen hatte.

Heute dagegen müssen wir uns fragen, wie können wir es verhindern, daß Eltern ihren Kindern - manche kurz vor der Einschulung - verbieten, Plattdeutsch zu sprechen? Wobei es doch inzwischen einwandfrei wissenschaftlich erwiesen ist, daß der Gebrauch mehrerer Sprachen - in unserem Fall hier Hochdeutsch und Plattdeutsch - nur von Vorteil ist. Zwei- und Mehrsprachigkeit fördert das analytische Denken und hat damit auch eine positive Einwirkung auf den Intellekt. Sind manche Eltern vielleicht der Meinung, daß Plattdeutsch als Alltagssprache der "kleinen Leute" verschrieen und nicht vornehm ist? Oder haben sie Angst, daß ihre Kinder das Hochdeutsche als Schrift- und Standardsprache später nicht einwandfrei beherrschen? Dabei allerdings erkennen sie dann nicht, daß die Beherrschung einer Sprache sicher auch zum Teil eine Frage der Intelligenz ist. Mancher Akademiker, Wissenschaftler, Lehrer oder Kaufmann hat bis zu seinem 6. Lebensjahr kein Wort Hochdeutsch gesprochen, weil in der Familie nur Plattdeutsch galt. Trotzdem nahm er es später an Sprachgewandtheit mit jedem Binnenländer auf

Skeptiker werden in diesem Zusammenhang nun fragen: ist Plattdeutsch überhaupt eine Sprache, oder ist es "nur" ein Dialekt?

Der Europarat in Straßburg hat die Regional- und Minderheitensprachen Europas mit Hilfe der Sprachencharta aus ihrem Versteck herausgeholt und überprüft. In diese Charta wurde Niederdeutsch aufgenommen. Das bedeutet: Niederdeutsch hat den Status einer eigenständigen Regionalsprache, die herkömmlicherweise in einem ganz bestimmten Gebiet eines Landes benutzt wird. Niederdeutsch ist kein Dialekt der Amtssprache unseres Staates, wie z.B. das Fränkische oder das Altbayrische.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, daß Niederdeutsch früher eine wichtige europäische Sprache war. In der Hansezeit konnte man mit den Handelskontoren in anderen Ländern alles auf Niederdeutsch erledigen.

Es steht fest, daß Niederdeutsch nicht an der Entstehung des Hochdeutschen beteiligt war.

Es war beeindruckend, im Januar 1994 eine Debatte im Deutschen Bundestag anzuhören, die sich mit unserem Plattdeutsch - streckenweise auf plattdeutsch - beschäftigte. Diese Parlamentsdebatte hat dazu beigetragen, unsere Sprache aus ihrem Mauerblümchendasein zu erlösen und sie ins Blickfeld nationaler und internationaler Politik zu heben. (Das Präsidium des Deutschen Bundestages hatte sogar gegen geltende Regeln genehmigt, daß parlamentarische Reden und Papiere zu diesem Thema plattdeutsch sein durften.) Der Entschließungsantrag am Schluß der Debatte, der dem Niederdeutschen volle Schutz- und Förderungsrechte nach Teil 111 der Europäischen Sprachencharta sichern sollte, wurde mit Zustimmung aller Fraktionen genehmigt und dem Innenausschuß überwiesen.

Sehr zu hoffen und zu wünschen ist, daß die Zeiten nun vorbei sind, in denen der Staat die Verantwortung für die Existenz und Pflege unserer niederdeutschen Sprache nur noch auf die Schultern der Bürger legt, die als Liebhaber ehrenamtlich wirken. Die Bevölkerung jedoch sollte heute auch vermehrt zeigen, daß sie Plattdeutsch möchte.

Das Schlagwort: "Proot doch Platt, of schaadt di wat?" sollte erweitert werden: "Lees un schriev ok Platt, dat lehrst du glatt!"

Niederdeutsch ist nicht zur Volksbelustigung da. Niederdeutsch ist ein Baustein norddeutscher Kultur. Man sollte es nicht versäumen, sich mit der Geschichte und Literatur der mehr als 1.000 Jahre alten Sprache zu beschäftigen. Besonders unsere Heimatvereine und Butenostfriesenvereine könnten dabei kräftig mitmischen, damit wir unser stärkstes Band, das uns Ostfriesen binnen und buten zusammenhält, nicht zerstören.

       Johanne Schaper
 

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Lees un schriev ok Platt, dat lehrst du glatt!